Wu Taijiquan – Gesundheitlicher Aspekt

Wu Taijiquan zählt zu den inneren oder auch weichen Kampfkünsten Chinas. Auch wenn sein Ursprung in der Verteidigung des eigenen Lebens im Kampf zu finden ist, spielte die Erhaltung der Gesundheit im täglichen Leben eine nicht weniger wichtige Rolle.

Taijiquan ist tief  eingebettet in die Lehre des Taoismus. Der Ausgleich der  Gegensätze (Yin und Yang) führt zu einem harmonischen Gleichgewicht und innerem Frieden. Dieses Prinzip wird in den Übungen des Taijiquan verwirklicht. Ständig fließender Wechsel von Be- und Entlastung, Spannung und Entspannung sind Kennzeichen der Wandlung.

Der Übende verspürt nach einiger Zeit die ausgleichende Wirkung am eigenen Körper und Geist. Er wird ruhig und gelassen, gleichzeitig jedoch hellwach und konzentriert. Deswegen wird Taijiquan oft als Meditation in der Bewegung bezeichnet. Dieser Zustand der inneren Ruhe ist nur einer der Gründe, warum Taijiquan gesundheitsfördernd ist.

Die Bewegungen in der Langsamen Form sind fließend, weich und rund. Die Körperhaltung ist locker entspannt aber mit innerer Aufmerksamkeit. Das Körpergefühl wird durch die zeitlupenhaft ausgeführten Bewegungen gesteigert und verfeinert. Das Qi, das wir nur unzureichend mit Energie oder Lebenskraft übersetzen können, durchströmt gleichmäßig alle Organe und Meridiane des Körpers. In der Vorstellung der alten Chinesen ist dies die Voraussetzung für einen gesunden Organismus. Das Qi wird oft mit dem Wasser verglichen: wenn Wasser nicht fließen kann, beginnt es zu faulen. Kann Qi sich nicht frei bewegen, sind Störungen und Krankheiten die Folge.

Taijiquan ist eine gute Möglichkeit, sich und seinen Körper zu pflegen und seine Gesundheit zu erhalten. Es fördert das harmonische Zusammenwirken aller Organsysteme und kann zur Prophylaxe und Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden. Beschwerden des Bewegungssystems und der Wirbelsäule verlieren sich, das vegetative System und das Abwehrsystem werden gestärkt.

Taijiquan bietet als Fitness-Programm den Vorteil, dass es 3 Aspekte vereint. Je nach individuellem Bedürfnis kann der Übende den Schwerpunkt auf  den meditativen, kämpferischen oder gesundheitlichen Aspekt legen. Im Westen wird Taijiquan hauptsächlich mit der Langsamen Form gleichgesetzt, die den meditativen und gesundheitlichen Aspekt betont. Weniger bekannt ist, dass das traditionelle Taijiquan auch Waffenformen, eine Schnelle Form und Partnerübungen enthält und somit ein optimales Selbstverteidigungssystem darstellt.

Gesundheitlicher Aspekt des Wu Taijiquan

Die langsame Form des Wu Taijiquan ist durch langsam fließende, runde und geschmeidige Bewegungen charakterisiert welche zu innerer Ruhe, Konzentration und Gelassenheit führen. Der ganze Mensch ist entspannt und gleichzeitig doch hell wach. Der Atem kann frei fließen und das Qi (Lebensenergie, Naturkraft) durchströmt gleichmäßig alle Organe und Meridiane des Körpers. Nach Ansicht der Traditionellen chinesischen Medizin ist der Mensch gesund, wenn die Lebensenergie Qi gleichmäßig im Körper zirkuliert.  Da die Form in zeitlupenhaftem Tempo ausgeführt wird eignet sich Wu Taijiquan für Jung und Alt, für Männer und Frauen, sowie für jene, deren Gesundheit sich in einem verschlechterten Zustand befindet. Der Übungsplan kann den individuellen körperlichen Bedürfnissen entsprechend angepaßt werden.  Insgesamt wird also eine Kräftigung des Qi erreicht, welche durch Integration der körperlichen und geistigen Haltung in alle Lebensbereiche wirkt. Die hohe Anzahl der alten Leute in China, die Taijiquan noch praktizieren, sind ein lebendiger Beweis einer erfolgreichen Übungsmethode.

Wie gehen wir mit unserem Körper um?

Über Jahrtausende hinweg war der Körper auf ständige, abwechslungsreiche und umfassende physische Aktivität ausgerichtet und wurde von ihr zugleich aufrecht erhalten. Dieses zweckmäßige Verhaltensmuster wurde plötzlich mit dramatischer Schnelligkeit zerschlagen und durch ein streßbetontes und von wenig Bewegung gekennzeichnetes ersetzt. Ob dieser Widerstreit unter dem Blickwinkel der Entwicklung des Nervensystems und seiner Streßanpassung gesehen wird oder im Sinne einer extrem schlechten diätetischen Anpassung – die größte Sorge gilt dem Bereich körperlicher Bewegung.

Technologische Neuerungen haben in zunehmenden Maße die schwere Arbeit übernommen, die zuvor mit körperlicher Anstrengung ausgeführt werden mußte. Zwar war diese Entwicklung größtenteils positiv, doch haben die Menschen eine Neigung entwickelt, sich an eine weitgehend sitzende Lebensweise zu gewöhnen. Die Anregung der Körpergewebe und der inneren Organe durch regelmäßige körperliche Arbeit hat sich deutlich verringert. ,,Der menschliche Körper ist gebaut, um bewegt zu werden, nicht um auszuruhen“. Dies war eine historische Notwendigkeit, denn: der Überlebenskampf erforderte eine gute körperliche Verfassung.

Um eine gute körperliche Verfassung zu erreichen, bedarf es nur der Motivation des Einzelnen. Mehr als jeder andere Gesichtspunkt ganzheitlicher Medizin verlangt körperliche Übung Verantwortlichkeit, aktive Beteiligung und eine Umorientierung des persönlichen Lebenstils. Die Kondition des Leistungssportlers ist nicht gleichbedeutend mit optimaler Gesundheit und könnte sogar zerstörerisch sein. Ständiges, überdosiertes Training kann als eine Art Streß betrachtet werden.

Wirbelsäule

Der Übende Sollte versuchen abzuschalten, ruhig zu werden. So hat sich bei Versuchspersonen gezeigt, daß die Reizschwelle der Nervenzellen, also der Moment wo ein Signal weitergegeben wird (z.B. an die Muskelzelle, sich zusammenzuziehen) um einiges erhöht wird. Mit anderen Worten: man ist nicht so leicht reizbar. Diese Reizschwellen gibt es nicht nur im Gehirn oder den Nervenzellen (wenn sie auch hier überwiegen), sondern in all unseren Organen und Körperzellen. Erniedrigte Reizbarkeit erhält man aber nicht nur durch Meditation, sondern durch Achtung auf seine Körperhaltung, bzw. auch durch das Vollziehen bestimmter Bewegungen, die einen massierenden Effekt auf die inneren Organe haben. Ein hoher Preis für die aufrechte Haltung der Menschen ist die ständige Kompression der Nervenwurzeln an ihren Austrittsstellen an der Wirbelsäule. Durch gekrümmte Haltung (Büroarbeit, Fließbandarbeit) werden die Nerven ständig gequetscht und sind dadurch in einem Zustand erhöhter Reizbarkeit, sprich erniedrigter Reizschwelle, wie sich an Patienten mit Bandscheibenvorfall, bei elektrotechnischen Meßverfahren deutlich gezeigt hat (EEG/EMG). Durch aufrechte Körperhaltung mit gerader Wirbelsäule, ähnlich wie es auf den Fersen sitzende Kleinkinder natürlich machen, kann man diesem Übel unserer Zeit entgegenwirken. Im Wu Taijiquan wird während der ganzen Übung eine solche aufrechte Körperhaltung praktiziert.

Kreislauf

Herz- und Kreislauferkrankungen stehen bei uns an 1. Stelle der Ursachen für Tod und Arbeitsunfähigkeit.

Ein wichtiges Glied des gesunden Körpers ist ein gut funktionierendes Kreislaufsystem. Nicht die großen, fühlbaren Gefäße (Pulsschlag) haben dabei Steuerfunktionen, sondern die kleinsten abertausend Gefäße in den verschiedenen Organen regulieren unseren Blutdruck, unsere Durchblutung und damit unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Im Versuch zeigte sich, daß bei verminderter nervöser Reizung (Meditation) – also dem Zustand, der beim Taiji erreicht werden soll – die Gefäße sich erweitern. Dadurch ergibt sich eine erhöhte Durchblutung und Schlackstoffe werden besser abtransportiert. So kann man der Wohlstandskrankheit Arteriosklerose (Gefäßverkalkung) und Hypertonie (Bluthochdruck) wirksam entgegentreten. Cholesterin kann sich nicht absetzen, die Gefäße bleiben weich und elastisch und werden nicht derb und brüchig, wie etwa ein ,,verkalktes Wasserrohr“.

Neueste epidemiologische Daten lassen darauf schließen, daß psychosoziale Streßfaktoren möglicherweise tatsächlich von größerer Bedeutung für die Arteriosklerose sind als Hyperlipidämie (zuviel Blutfette), Blutdruck und Zigarettenrauchen, die gegenwärtig als Hauptschuldige angesehen werden. Es wurden Zehntausende über einen Zeitraum von 15 Jahren untersucht. Man fand neben den bekannten Ernährungsfehlern (z. B. Cholesterin, zu viel gesättigte Fettsäuren), Blutdruck und Zigarettenrauchen, als Ätiologie für die Arteriosklerose (Verkalkung der Gefäße), daß die Psyche durch den Lebensstil des jeweiligen Menschen darüber entscheidet wie sich der Körper den gefährlichen Faktoren anpaßt.

In Sportlabors wurden umfangreiche Messungen der Muskeln in Bewegung, insbesondere Kraftentwicklung und Sauerstoffverbrauch, durchgeführt. Die beiden wichtigsten Werte sind die Sauerstoffaufnahme und der Ruhepuls. Es wurde mit besonderer Aufmerksamkeit auf den Herzmuskel festgestellt, daß ein Muskel seine Verfassung aufgrund angemessenen Trainings in jedem Lebensalter verbessern kann. „Angemessenes Training“ heißt, daß der Herzrhythmus mäßig gesteigert und über längere Zeit hinweg auf diesem erhöhten Stand gehalten wird.

Vegetatives Nervensystem

Im Taiji versucht man durch Konzentration auf die langsamen Bewegungen körperliche Ausgeglichenheit und Ruhe zu schaffen. In Ruhe überwiegt im Körper das autonome oder vegetative Nervensystem. Dieses besteht aus Sympathikus und Parasympathikus. Dabei besteht eine sehr enge Beziehung zum System der innerlich sekretorischen Drüsen und zum Hormonsystem. Alle diese Regulationen geschehen unbewußt und ohne unseren Willen. Im Taiji werden sie aber verfeinert und damit gestärkt. Ausgeglichenheit im vegetativen Nervensystem, die man durch Taiji-Übungen erreicht (meßbar über Adrenalin bzw. Azetylcholin), erleichtert geistige wie auch körperliche Arbeit.

Zentrum der hormonellen Steuerung sind Hypothalamus und Hypophyse. Wichtige Funktionen wie Blutdruck (Vasopressin), Streßbereitschaft (Adrenalin) oder Wehentätigkeit bei Schwangeren (Oxytozin), sowie der Wasserhaushalt (Aldosteron), Leistungsfähigkeit (Cortison), Sexualfunktion und vieles mehr werden geregelt. Der Hypothalamus ist eng mit dem ,,limbischen System“, der Gefühlssphäre des Körpers verbunden und der Hormonhaushalt zeigt deshalb auch Abhängigkeit vom Schlaf- Wach-Rhytmus und psychisch-emotionellen Faktoren. Streßsituationen können z. B. bei Frauen zum Aussetzen der hormongesteuerten Menstruationsblutung führen.

Besondere Aufmerksamkeit ist dabei der Zirbeldrüse zuteil geworden. Ein Organ, das in der westlichen Medizin noch ziemlich unerforscht ist. Die alten Taoisten sprechen von der Epiphyse (Zirbeldrüse) als ,,drittes Auge“, wachend über Yin und Yang, den gegensätzlichen, jedoch sich gegenseitig ergänzenden Körperströmungen. Tatsächlich wurden in der Epiphyse  Zellstrukturen gefunden, die denen von Augen- zellen sehr ähnlich waren und auf Lichtblitzreize reagierten. Hieraus wurde der Epiphyse eine Wachfunktion über Nacht-Tag (Yin-Yang) – Rhythmen zugeordnet. Eben dieser Nacht-Tag-Rhythmus ist wichtig für die Ausgeglichenheit im vegetativen Nervensystem.

Weitere Aufmerksamkeit kommt der im Hals gelegenen Schilddrüse zu. Die positiven Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Hypophyse bewirken auch eine verstärkte Schilddrüsenfunktion, so daß die Sekretion vom Schilddrüsenhormon (T3/T4) erleichtert wird. T3 (T4) bewirkt in der Zelle eine Vermehrung der Mitochondrien, welche die eigentlichen Zellkraftwerke darstellen. Es kommt zu einem verstärkten Energieumsatz und erhöhter Wärmeproduktion, kurz der Körper leistet mehr. T3 fördert außerdem die Reifung und das Wachstum von Gehirn und Knochen.

Wenn die oben angeführten Körperfunktionen gewährleistet sind, können die inneren Organe auf harmonische Weise voll funktionieren. Durch bestimmte rhythmische Bewegungen erzielt man im inneren einen massierenden Effekt. Das zarte Aneinanderreiben der inneren Organe bewirkt einen Zustand der Entspanntheit, der zwar nicht wie bei einer Muskelmassage ,,gespürt“ wird, aber doch vorhanden ist. Ähnlich wie man ein schreiendes Kind durch Streicheln beruhigt, oder auch wir Streicheln als Wohlgefühl seelischer Entspanntheit empfinden.

Diese Wirkung wird durch die Atmung verstärkt. Die Atmung sollte als natürlich und ungezwungen ausgeübt werden, wobei die gleichmäßige, harmonische Bewegung des Zwerchfells den beschriebenen Zustand verstärkt. Im Schlaf, also bei totaler Entspannung, wird fast ausschließlich Bauchatmung betrieben, das EEG zeigt eine Verlangsamung der Stromschwingungen. Schon die geringste Brustatmung (Betätigung von Muskulatur) würde das EEG beschleunigen, d. h. es würde mehr Strom fließen (der aber gar nicht gebraucht wird) und es bauen sich Spannungsfelder auf, die unerwünscht sind. Während der Ausführung des Taiji soll eine natürliche Bauchatmung betrieben werden.

Durch Anpassung unseres Lebensstils und damit Harmonisierung unseres Seelenlebens kann unsere Gesundheit positiv beeinflußt werden. Dies wird durch regelmäßiges Üben von Taijiquan erreicht.

Taijiquan wirkt vorbeugend und regulierend bei:

Blutdruckschwankungen, Arteriosklerose, Herzgefäßerkrankungen, Verdauungsbeschwerden, Beschwerden des Bewegungsapparates, Schlafstörungen und Nervosität. Hinzu kommen alle weiteren Krankheiten, die durch Streß ausgelöst werden.

Auf einen weiteren wesentlichen Aspekt, nämlich der umfangreichen Schulung unserer Gehirntätigkeit durch Koordination gezielt angesprochener Muskelgruppen, sei aber doch noch hingewiesen, da hier ebenfalls ein großer therapeutischer Nutzen bei neurologischen Ausfällen (z.B. beim Schlaganfall) vorhanden ist. (von Dr. Carl Rauscher)

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