Qigong hilft heilen – heilt Qigong durch die Faszien?

Dr. Bambach

Dr. Thomas Bambach

Die traditionelle chinesische Medizin, wie sie seit Jahrtausenden überliefert und bis heute in die modernen Behandlungskonzepte insbesondere bei chronischen Schmerzpatienten eingebunden ist, bietet verschiedene Ansatzpunkte: Neben der Diätetik und der chinesischen Arzneimittellehre ist bei uns in Europa vor allen Dingen die Akupunktur, gerade auch bei chronischen Schmerzen, bekannt. Darüber hinaus umfasst die chinesische Medizin jedoch auch spezielle Massagetechniken und, vor allen Dingen zur Unterstützung des Genesungsprozesses und zur Gesunderhaltung, also zur Vorbeu­gung oder Prophylaxe, die Übungen des Qigong. Der Begriff des Qi nimmt in der chinesischen Phi­losophie, auf der dann die medizinischen Erkenntnisse aufgebaut haben, einen großen Stellenwert ein und bezeichnet gewissermaßen die Lebensenergie, die einen ungestörten Fluss benötigt, um das Gleichgewicht im Körper aufrecht zu erhalten und eine ungestörte Funktion der Organe zu gewähr­leisten. Qigong könnte man als „Arbeit mit“ oder „Arbeit für“das Qi, also die Lebensenergie, über­setzen.

Wir wissen, dass die Übungen des Qigong entspannend, wohltuend und bei bestehenden Problemen schmerzlindernd sind. Es gibt verschiedene Untersuchungen, denen zufolge das regelmäßige Prakti­zieren der Übungen des Qigong bei chronischen Schmerzpatienten mit Fibromyalgie – also einer große Teile des Körpers umfassenden Schmerzerkrankung des Bindegewebes und der Muskulatur sowie des gesamten Haltungs-und Bewegungsapparates – Schmerzen dämpfen und das Wohlbefin­den verbessern kann. Untersuchungen bei Patienten mit Arthrose im Kniegelenk ergaben eine ver­besserte Funktion durch regelmäßige Übungen, ebenso wie bei betagten Patienten die Neigung zu Stürzen offensichtlich durch verbesserte Koordination und Kondition vermindert werden kann. Aber auch erhöhte Blutdruckwerte sinken durch regelmäßiges Durchführen der Übungen des Qi­gong, Depressionen werden verbessert und es werden positive Auswirkungen auf die Immunabwehr dokumentiert.

Bislang konnten wir letztenendes diese positiven Effekte des Qigong beschreiben, aber nicht hinrei­chend erklären. Vor ähnlichen Problemen stehen wir auch bei der Beobachtung der positiven Effek­te der Akupunktur. Zahlreiche Patienten erfahren am eigenen Körper, wie sich ihre Schmerzen und Funktionsstörungen durch eine Einbindung von Akupunktur in ein multimodales Behandlungskon­zepte bessern lassen. Bislang ist es allerdings noch nicht richtig gelungen, den so genannten Aku­punkturpunkt, der auf so genannten Meridianen oder Leitungsbahnen liegt, anatomisch zuzuordnen.

Manche Akupunkturpunkte liegen in der Nähe von Triggerpunkten, also umschriebenen Mus­kel-und Bindegewebsverhärtungen, welche ausstrahlende Schmerzen verursachen können, andere, ins­besondere Fernpunkte, liegen nicht so eindeutig in Beziehung zu dem eigentlichen Problem des Pa­tienten. Schon länger bekannt Q ist, dass sich in der Nähe von Akupunkturpunkten der elektrische Hautwiderstand verändert, aber der eigentliche anatomische Aufbau des Akupunkturpunktes an sich bleibt bislang ungeklärt. Oder vielleicht doch nicht?

Schon länger ist aus anatomischen Studien bekannt, dass sich viele Akupunkturpunkte an Stellen befinden, an denen Gefäß-Nervenbündel die Faszien passieren. Die Faszien werden gebildet von Zellen des Bindegewebes, den so genannten Fibroblasten. Diese Zellen kommen praktisch überall im Körper vor, ob im Knochen, Knorpel, in Organen wie Herz oder Lunge, in den Blutgefäßen, im Gelenkkapseln oder in den Sehnen.

Zum einen bilden die Bindegewebsstränge ein Netz von Fasern, welches das einwandfreie Gleiten der einzelnen Schichten des Körpers gegeneinander ermöglicht, zum anderen erlauben sie die Kraftübertragung beispielsweise am Übergang von Muskel zu Knochen oder Sehne. Zum anderen halten die Bindegewebsstrukturen die Organe in Form, reagieren auf Fehlbelastungen oder Überlas­tungen: Längerdauernde Ruhigstellung etwa nach einer Verletzung oder bei einseitigen Fehlbe-lastungen kann zu Verklebungen der Bindegewebsschichten führen, welche Schmerz und Funktionsstörungen verursachen können.

Ein ständig erhöhter Blutdruck zwingt das Bindegewebe, die Gefäßwand zu verstärken, so dass sich hier vermehrt Kollagenablagerungen finden. Das gesamte Netzwerk der Faszien und des Bindege­webes ist durchsetzt mit Nervenendigungen, die insbesondere die so genannte Propriozeption be­treffen. Hierunter versteht man die unbewusste Lagekontrolle und Steuerung der Haltung und des Muskeltonus, die unsere aufrechte Körperhaltung und Fortbewegung überhaupt erst ermöglicht.

Neuere Forschungen ergaben, dass die Faszien selbst auf bestimmte Reize hin in der Lage sind, sich zusammen zu ziehen und ähnlich wie Muskelgewebe, jedoch unabhängig davon, Kontraktionen auszuführen. Umgekehrt ergaben die Untersuchungen, dass durch behutsame Dehnungen eine ver­stärkte Wasseraufnahme möglich wird, wodurch eine bessere Elastizität des Bindegewebes resul­tiert. Wichtig ist auch, dass im Bindegewebe die so genannte Matrix eingebunden ist. Diese Matrix enthält zahlreiche ZuckerEiweißverbindungen, welche Wasser binden und damit die Elastizität steu­ern können. Daneben finden sich aber auch in der Matrix zahlreiche Immunzellen, beispielsweise Makrophagen, Lymphozyten und Mastzellen. Manche Forscher sprechen von einem richtigen „in­neren Ozean“, in dem wesentliche Bestandteile unseres Stoffwechsels ablaufen.

Betrachten wir nun unter diesen Gesichtspunkten den Verlauf der Akupunkturmeridiane, so erken­nen wir, dass hier der Verlauf der Meridiane sehr häufig und überraschend mit der anatomischen Anordnung von Faszienbändern übereinstimmt! Möglicherweise stellt daher die gezielte Stimulati­on von Akupunkturpunkten, bei deren Behandlung die Nadelspitze die Faszie erreicht und diese me­chanisch reizt, ein von den chinesischen Medizinern schon vor Jahrtausenden empirisch beobachte­tes Verfahren dar, welches heute durch die verbesserten Kenntnisse über die Faszien und ihre Be­deutung für die Gesundheit und das Wohlergehen erklärt werden kann!

Unter diesem Gesichtspunkt wird aber auch die gesundheitsfördernde Wirkung der Übungen des Qigong erst richtig verständlich: Die zahlreichen, oft spiralförmig verlaufenden Bewegungsabläufe, die stets auf das Gleichgewicht von Yin und Yang abzielen, stellen wahrscheinlich die älteste und jahrtausendelang erprobte Faszientherapie dar, die zur Behandlung von Verletzungsfolgen, Überlas­tungsschäden durch einseitige Körperhaltung aber auch zu Stimulation des Haltungs-und Bewe­gungsapparates mit Kräftigung der Muskulatur und der Faszien und schlussendlich sogar zur Ver­besserung der Immunabwehr beitragen kann.

Durch die Erkenntnisse der modernen Medizin wird sogar letzter überraschender Effekt erklärlich: Wenn wir daran denken, dass im“ inneren Ozean“ der Bindegewebsmatrix zahlreiche Zellen der Im­munabwehr vorhanden sind und gleichzeitig auch zahlreiche Nervenendigungen, so können wir uns vorstellen, dass durch entsprechendes Training hier eine Optimierung der Funktion auch dieser Be­standteile unseres Körpers erfolgen kann!

Somit steht für mich als Schmerztherapeut, Orthopäde und Sportmediziner außer Frage, dass das Qigong die eigentliche und authentische Faszientherapie darstellt.

Moderne Erkenntnisse erklären die vielfältigen und erstaunlichen Effekte, welche auch die in letzter Zeit in großer Vielfalt in Mode gekommenen Therapieverfahren wie Rolfing, Fasziendistorsionsthe­rapie und Ähnliches anzustreben versuchen. Diesen Verfahren gegenüber hat Qigong einen großen Vorteil: Es ist ein schon seit über 2000 Jahres bewährtes Verfahren!

Dr. Thomas Bambach
Niedergelassener Facharzt für Orthopädie; Spezielle Schmerztherapie; Sportmedizin; Physikalische Therapie und Akupunktur. www.schmerztherapie-bambach.de

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